Der Hias ist tot.
“Wunderschön! Auch diese Ledersitze, die sehen wirklich edel aus. Ich wäre fertig.”
“Ok! Fahren wir.”
Mein Onkel Max lud mich ein, mit ihm nach Wien zu fahren. In seiner neuen Limusine. Ein großartiges Gefühl, so dahin zu gleiten. Lautlos - und doch spürst du bei jedem Druck auf das Gaspedal die enorme Kraft des monströsen Motors.
Der Innenraum in Leder und Holz, gibt dir das Gefühl, in einer Luxusyacht zu sitzen.
Plötzlich reißt mich ein Summen aus meiner fast schon überheblich wirkenden Ruhe. Onkel Max fängt zu sprechen an. Nach einigen Sekunden begreife ich erst, dass er gar nicht mich meint, sondern die Stimme aus den Lautsprechern.
Das war ein in die Musikanlage integriertes Telefon! Phantastisch! Offensichtlich hielt er es nicht für nötig, den Inhalt des Gespräches vor mir zu verbergen und ließ die Lautsprecher eingeschaltet.
„Sie haben das Vergnügen, mit Herrn Zupanko sprechen zu dürfen!“
„Ciao, mein Freund! Du wirst niemals gescheiter.“
„Ciao, du bist es. Ich freue mich über deine Stimme. Wie geht es dir?“
„Ach!“
„Was ach? Was ist los?“
„Der Hias ist tot!“
„Welcher Hias? Ach, der Hias! Jetzt kapiere ich erst. Das kommt aber überraschend.“
„Es ging so schnell.“
„Man kann sich euren Hof ohne den Hias gar nicht vorstellen. Trauerst du?“
„Nein! Eigentlich nicht. Unsere Beziehung war nie so besonders. Er hat mich nie wirklich akzeptiert.“
„Du warst aber auch immer sehr streng zu ihm.“
„Was heißt streng? Jeder muß seine Arbeit machen.“
„Ja, aber ihr seid aber auch wirklich jeder auf ihm herumgeritten.“
„Was heißt...? Ach egal, jetzt ist es vorbei mit ihm. Bis auf unsere Jüngste, die Lisa. Sie trauert sehr.“
„Tut´s ihr sehr weh, ja? Man hatte den Eindruck, sie erleben wirklich eine ganz herzliche Freundschaft. Ich erinnere mich noch genau, als er auf eueren Hof kam. Sie hat ihm schon nach einer Stunde vertraut. Weißt du noch, wie sie damals auf seinem Rücken... Ha, ha, ha. Sie krallte sich in seinem Hals fest, und er donnerte mit ihr durch den ganzen Hof. Wie das ausgeschaut hat!“
„Ja! Wir waren vor Unsicherheit zu keiner Reaktion fähig. Er war ja ein Fremder!“
„Und sie hat ganz glücklich gejauchzt. Wahnsinn! Ich denke immer wieder daran.“
„Sie will einen schönen Grabstein für ihn.“
„Warum solltet ihr...“
„Sie will es so! Wünscht es sich so sehr. Was kostet eigentlich ein schöner Grabstein?“
„Ein schöner...? Hm... Ich denke so zweitausend Euro.“
„Scheiße!“
„Du mußt ja nicht.“
„Aber die Lisa. Allein zusehen zu müssen, wie sie leidet. Das bricht mir fast das Herz. Solche Situationen kotzen mich voll an.“
„Komm, beruhige dich! Ich kenne dich zu gut. Du bist doch weiche Butter in ihren Händen. Willst immer den Starken mimen. Was glaubst du, warum dich deine Familie so liebt? Und ich liebe dich auch, du alter Schauspieler.“
„Ach, ich weiß es ja. Belüge ich mich eben selbst. Ja, ja, ich bin schon ein hartes Schwein. Wenn sie mich nur anschauen... Sie möchte einen schönen goldenen Spruch eingemeißelt.“
„Dreitausend!“
„Du sollst mir helfen, nicht mich fertig machen. Dreitausend, was? Ich wollte diesen neuen Computer. Verd....“
„He! Ich weiß einen Spruch. Schöner Freund, ich denk an dich..."
„Also bitte, “schöner Freund...". Das paßt doch nicht auf einen Grabstein.“
„Doch, doch. Er hatte schöne Ohren. Sie waren so haarig. Wenn die Sonne...“
„Du hast seine Ohren beobachtet? Wer bist du? Warum rede ich überhaupt mit dir?“
„Oh, ich weiß einen besseren!“ In der Stille lag deine Kraft“....“
„Ha, ha, ich lach mich tot! “In der Stille lag deine Kraft". Man merkt daß du zig Kilometer von uns entfernt wohnst. Du warst nicht dabei, als er randalierte, wegen Kleinigkeiten, wegen meinem Handy. Wenn es die “Old man river" Melodie spielte, bei jedem Anruf rastete er völlig aus. Oder wenn er merkte, daß ich mit jemandem sprach, und niemand war in der Nähe.“
„Ja, Handys haßte er wirklich. Er verstand das nicht, und es brachte ihn auf die Palme. Oder „Allzuschnell bist du gegangen“... Es kam ja wirklich wie aus heiterem Himmel.“
„Für mich nicht! Ich wußte schon lange, daß er nicht mehr so fit war. Zumindest habe ich es geahnt. Damals als er... Als ich mit ihm auf den Schatzberg ging, da machte er keinen guten Eindruck.“
„Was! Du hast diesen Alten auf den Schatzberg getrieben? Was hast du dir dabei gedacht? Keinen guten Eindruck!“
„Er hat auch immer diese Schmerzen im Rücken gehabt. Ich dachte, mit etwas mehr Bewegung wird das schon wieder. Bis dann, damals, als er nicht mehr aufstehen konnte.“
„Ihr habt euch aber wirklich rührend um ihn bemüht. Nur du konntest deinen Mund nicht halten. Als du spaßeshalber sagtest, daß sie ihnen im Wilden - Westen in so einem Fall einfach eine Kugel... Ha, ha, ha!”
„Sie fanden es nicht so komisch! Lisa hat mich zwei Tage nicht geküßt. Und nicht gegessen. Und dann diese teure Operation. Ich wußte schon vorher, daß diese Investition ein Verlustgeschäft wird.“
„Wie du immer reden mußt! Wart mal! Wie gefällt dir der? „Treuer Knecht, jetzt dienst du Gott“?“
„Was? Glaubst du ernstlich, dass der Hias in den Himmel kommt? Und was heißt, jetzt dient er Gott? Du denkst doch nicht wirklich, daß wir dann ewig Gott dienen müssen? Ich glaube, dass Gott uns dienen wird. Weil er uns so lieb hat. Und weil wir uns eh immer so bemühen.“
„Was bemühen? Der Mensch ist doch grundsätzlich schlecht. Das beweisen doch schon unsere Gedanken... Ich hab einmal in einer Predigt gehört, dass es jedem Menschen gesetzt ist, einmal zu sterben, dann aber das Gericht! „Welches Gericht?“, habe ich mir gedacht. Wenn uns Gott doch alle so liebt! Welches Gericht? Welche Strafe? Ein Gericht zieht doch immer Konsequenzen nach sich.“
„Die Kirche sagt, dass sie unser Stellvertreter sein wird.“
„Ich habe aber gehört, dass jeder gerichtet wird. Ich glaub´, dass wir diese Verantwortung nicht abgeben können.“
„Möglicherweise sollten wir uns wirklich einmal ganz aufrichtig über dieses Thema unterhalten. Aber ich glaub´nicht, dass der Hias in den Himmel kommt! Wenn da ein jeder... Aber ich weiß einen Spruch. Hör zu!“
„Super! Hör zu, in Gold. Super!“
„Du wirst auch nie aufhören, den Kasperl zu spielen. Ich denke daran, wie er in seiner Jugend sicher hart arbeiten mußte. Tag und Nacht buckeln um... Ich habe ihn schon gekannt, als er noch nicht bei uns war.“
„Beim Huberbauer.“
„Der hat auch immer nur gut von ihm gesprochen. “Immer fleißig, immer sein Bestes gegeben, fast nie krank". “Er hat einen kleinen Magen", hat er einmal gesagt. “Ist leicht zu ernähren, eine wirtschaftliche Kraft".
Nur jetzt hat er es nicht mehr geschafft. Hat nicht mehr wollen. Ich glaub´, die Schmerzen waren auch sehr groß. Kein Wunder. Der Krebs! Ah, den Spruch! Du mußt aber ehrlich sein.“
„Ok! “Sein Leben war frohes Schaffen, sein Tod war Erlösung".
„Ja! Der paßt! Wirklich! Ich meine, kein Gedicht, aber er paßt zu einem Pferd. Wer holt ihn ab?“
„Metzger Mayr.“
„Grüße deine Familie ganz herzlich, besonders die Lisa!“
„Grüß dich! Besuch uns doch einmal!“
„Ja, gerne! Ciao, mein Freund!“
Ich weiß nicht, wie lange ich da saß und das Gehörte nicht begreifen konnte. Onkel Max muß meine Unsicherheit erkannt haben. Er lachte so laut und entfesselt, dass ich Angst hatte, er könnte die Herrschaft über den Wagen verlieren.
„Ein Pferd!“ Sagte er. „Ein alter Gaul!“
„Wo ist der Unterschied“ Sagte ich.
„Was soll auf deinem Grabstein stehen?“