Wie ich zum Motorradkopf wurde

Vor sehr vielen Jahren begann meine Leidenschaft für motorisierte Zweiräder mit einer PUCH MC 50 Cross. Danach, die, wie eine kostbare Perle gepflegte KTM Tourist 125 ccm meines Opa's. Diese Maschine war neben seiner strengen Frau, sein Augenstern und Kumpel. Nach dem Krieg entbehrungsreich erspart und bar bezahlt. Das Wort, Leasing, musste ja erst erfunden werden, Schulden machte man in diesen Kreisen ja ohnehin nicht und ein Auto konnte er sich in dieser Zeit natürlich nicht leisten. Mittlerweile - in den Siebzigern meiner Jugend - war Opa's KTM schon wieder ein Wenig zur Rarität geworden, trug ihn aber immer noch treu zur Arbeit, zum Fischen und zur - vom Krieg stark dezimierten - Verwandschaft. Nie ließ sie ihn im Stich. Die sporadisch anfallenden, kleinen Problemchen löste er mit technischem Geschick und hingebungsvoller Liebe zu seinem alten Motorrad. Plötzlich sagte eine Stimme in mir: "Das Ding muss doch auch mal "würdig" bewegt werden". So als 50 ccm erfahrener, übermotivierter Pickelrocker muss man solche Entscheidungen treffen! Heimlich, in einer lauen Nacht, das schwere Ding aus der Garage geborgen. Noch ein paar hundert Meter in die dunkle Nacht geschoben um nicht, mit ihrem unverwechselbaren Motor - Sound die ganze Familie aus dem Schlaf zu reißen und wie eine Meute englischer Bluthunde auf mich zu hetzen. Los ging's! Ein beherzter Kick und schon bot sich mir eine gefühlte "Beschleunigungsorgie". Männlichkeit, ungezügelte Freiheit! Führerschein? Warum sollte sich ein Racer meines Kalibers, der schon als Sechzehn jähriger, quasi Rocker und Wüstenfuchs in einer Person war, über solch überbewertete Details den Kopf zerbrechen? Viel wichtiger war natürlich, meinem Arbeitskollegen auf seiner alten Nachkriegs - BMW zu zeigen, wie man auch in der Dunkelheit der damals, noch nicht großzügig durch die EU geförderten, burgenländischen Nebenstraßen, mit der Präzision eines Gust'l Auinger oder Giacomo Agostini, die Kampflinie schneidet ja, selbst zur Kampflinie wird. Bis dann mein Kontrahent zu einem lächerlichen Überholmanöver ansetzte welches ich schon aus dem Augenwinkel erkennend abwehrte, indem ich mich zu einer Linienwahl entschied, welche wohl physikalische Grenzen in einer besonders spektakulären Form zu verändern suchte. Ich beendete diesen Zweikampf in einem wohl gepflügten Acker. Dieser, ich nenne ihn "Blutacker" wurde nun durch ein Kunstwerk aufgehübscht welches in seiner aggressiven Form von Leidenschaft und Kampfesmut erzählt. Die mit Blaulicht eintreffende "Rennleitung" erledigte professionell und mit unterdrücktem Verständnis alles Nötige, um die Strecke für den morgendlichen Verkehr frei zu geben. Die Tatsache, dass unser befreundeter Nachbar und verständnisvoller Gendarm, just in dieser Nacht Dienst hatte, ersparte mir weitere amtliche Ermittlungen. Das anschließende Nachgespräch, in Rennkreisen auch Fahrerbrifing genannt, erfolgte unter Ausschluß der Öffentlichkeit und heute noch ist es mir versagt, wichtige, geheime Details dieses Treffens mit dem Rennleiter, der zufällig mein Vater war, weiter zu geben. Deutlich habe ich auch jetzt, 40 Jahre später, den Geruch frisch aufgerissener, fruchtbarer, burgenländischer Erde in der Nase. Deutlicher jedenfalls, als die Erinnerung an die körperlichen Schmerzen die im Rahmen des Fahrerbrifings durch die Behandlung meines Therapeuten, der zufällig auch mein Papa war, zu ertragen waren. Physiotherapie musste in der heute angewandten Qualität, ja auch erst erfunden werden. Mein Opa? Ein Mann der vom 2. Weltkrieg und durch seine Frau zum wahren Menschen geformt wurde, der sein Haus - natürlich in seiner kargen Freizeit - mit eigenen Händen gebaut- ja sogar die dafür benötigten Backsteine, am Abend oder am Wochenende, selbst im naheliegenden Ziegelbetrieb gebrannt hatte. Der sah mich nur mit traurigen Augen an und sagte: "Gut, dass nicht mehr passiert ist, Bub".